1. August
Der große Künstler versteht es, eine Sache aufs Wesentliche zu
reduzieren.
Henri Amiel
Wie ein Kunstwerk durch Vereinfachung entsteht, so hat auch unsere
Genesung damit zu tun, daß wir uns aufs Wesentliche beschränken. Wir
reifen, wenn es uns gelingt, unser Leben zu vereinfachen.
Das fällt keinem Menschen leicht, denn wir sind eine schnellebige Welt
gewöhnt und stehen ständig unter Druck.
Wir neigen dazu, die Dinge durch unser kompliziertes Denken noch
komplizierter zu machen. Manchmal sind wir sogar stolz darauf, die
Dinge durch unsere Gedankengänge noch komplexer darzustellen, als sie
tatsächlich sind. Wir suchen regelrecht nach schwierigen Deutungen,
wenn die Tatsachen auf der Hand liegen. Wir geben lange Erklärungen
für unser Verhalten ab, wenn es überhaupt nicht nötig ist. Wir
interpretieren die Motive anderer Menschen, statt das, was sie sagen,
für bare Münze zu nehmen. Wir lassen uns auf jedes Wortgefecht ein,
wenn wir es genausogut lassen könnten.
Wenn wir uns auch nicht als Künstler sehen, so müssen wir uns doch
klarmachen, daß jeder einzelne die kreative Möglichkeit hat, sein
Leben auf seine Art sinnvoll zu gestalten.
Auf der Suche nach dem, was Gott mit uns vorhat, begreifen wir den
heutigen Tag als eine ungeformte Masse Ton, die wir nach unserer
Vorstellung gestalten können.
Ich wünsche mir, heute Möglichkeiten zu finden,
mich einfach und kreativ auszudrücken.
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2. August
Nicht jedes geschlossene Auge schläft,
und nicht jedes offene nimmt wahr.
Bill Cosby
Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen. Das gilt auch für
uns selbst.
Manchmal wird unser Programm unmerklich zur Routine, besonders dann, wenn
wir die erste, schwere Phase hinter uns haben, in der es um die
Loslösung von unserer Sucht und um unsere Nüchternheit ging.
Inzwischen haben wir die Vorzüge der Nüchternheit kennengelernt, wir
gehen regelmäßig zu unseren Meetings und kennen die Worte und Lehren
unseres Programms. Nach außen scheint also alles in Ordnung, aber wenn
wir ganz ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, daß unser
Enthusiasmus abgeflaut ist. Das ist eine ernste Sache, mit
der wir uns auseinandersetzen müssen.
Wenn das innere Gefühl nicht mit dem äußeren Schein übereinstimmt,
bedeutet das, daß wir zu "glatt" geworden sind: Wir müssen wieder
verletzlicher werden. Wir müssen zeigen, wie wir uns wirklich fühlen.
Vielleicht sind es Kleinigkeiten, die wir verbergen und die unseren
Geist abschweifen lassen. Vielleicht haben wir uns nicht eingestanden,
daß uns irgend etwas getroffen hat. Vielleicht sind wir äußeren Reizen
erlegen und haben dabei vergessen, wie schön es ist, wenn uns echte
Freunde wirklich kennen.
Das Neue an unserem Programm ist, daß die Erneuerung aus unserem Innern
kommt, und wir haben die Chance, weiterhin nach diesem Prinzip zu
leben.
Ich bete darum, daß meine Augen offen bleiben und meine Schritte
lebendig und echt sind.
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3. August
Um ein spirituelles Leben führen zu können, müssen wir den Mut
aufbringen, die Wüste der Einsamkeit zu betreten und sie durch stetes
Bemühen in einen üppigen Garten des Alleinseins zu verwandeln.
Henri J. M. Nouwen
Unser spiritueller Weg beginnt damit, daß wir unsere Einsamkeit
erkennen und sie zulassen. Heute befinden wir uns mitten auf unserer spirituellen Reise. Wir haben erfahren, daß Einsamkeit eine tiefere,
spirituelle Dimension besitzt.
Die meisten von uns befanden sich in äußerster Isolation, als sie mit
diesem Programm begannen. Nun aber gelingt es uns mit Hilfe unserer Höheren Macht, die Zeiten des Alleinseins für unser spirituelles
Wachstum zu nutzen. Wir nähern uns immer mehr unserem inneren
Wesenskern und unserer Höheren Macht. Aus verzweifelter Einsamkeit
wird bewußtes Alleinsein.
Dieser ruhige Anblick macht es uns möglich, uns selbst vollständiger
zu akzeptieren. Wir können uns eingestehen, daß unsere Einsamkeit
schmerzlich war, und erkennen gleichzeitig, daß diese Einsamkeit uns
unserem wahren Selbst nähergebracht hat und uns innere Ruhe schenkt.
Diese Veränderung ermöglicht uns den Eintritt in die spirituelle Welt.
Ich danke Gott für die Einsamkeit, die ich in meinem Leben
erfahren habe.
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4. August
Der Schreiner fertigt sein Objekt nicht unbedingt nach einem
vorgefaßten Plan. Oft kommen ihm die Ideen bei der Arbeit. Beides
zusammen, das Material und seine Hände, bringen das Werk hervor.
M. C. Richards
Wenn wir aufwachen, liegt der Tag als unfertiges Werk vor uns.
Natürlich haben wir eine Vorstellung davon, was wir an diesem Tag
erreichen wollen, aber auch unsere Höhere Macht hält etwas für uns
bereit, das wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen. Die Erfahrung
lehrt uns, daß jeder Tag Überraschungen mit sich bringt. Schon jetzt
wissen wir, daß einige unserer Pläne sich nicht verwirklichen lassen
und daß andererseits manches, das wir nicht geplant hatten, Erfolg
haben wird.
Was ist jedoch mit den Dingen, die wir überhaupt nicht vorhersehen
können? Wird es mir gelingen, eine weniger offensichtliche Chance
wahrzunehmen? Oder werde ich durch meine unflexible Planung
Möglichkeiten verpassen, die sich spontan ergeben? Wenn wir uns nicht
zu fest an unsere Tagesplanung klammern, können wir den Willen unserer
Höheren Macht besser erkennen. Jeder Tag ist in Wirklichkeit ein
spiritueller Prozeß, der zu einem gemeinschaftlichen Werk aus unserem
eigenen Plan und dem unserer Höheren Macht werden kann.
Heute will ich flexibel planen.
So bleibe ich offen für die heilende Kraft Gottes.
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5. August
Das Schwierigste ist, mit sich selbst im Gespräch zu bleiben.
E. B. White
Wir gleichen einem Edelstein mit vielen glitzernden Flächen. Jede
Seite spiegelt einen anderen Aspekt unserer Persönlichkeit wider. Da
ist einmal die Gefühlsseite mit ihren zahlreichen Gefühlen und
Reaktionen. Eine andere Facette spiegelt unser Wissen und unsere
Stärke, wieder eine andere unsere Hoffnungen und Sehnsüchte, unseren
Pessimismus und unsere mangelnde Zuversicht, unsere Selbstzweifel und
Ressentiments.
Weitere menschliche Züge sind das Streben nach Macht und Wissen, das
Bedürfnis zu dienen und der Wunsch nach Beziehungen. Als spirituell
orientierte Männer müssen wir all unsere Seiten kennen. Wir brauchen
eine gesunde Beziehung zu unseren Gedanken und Gefühlen, damit wir sie
verstehen, einschätzen und annehmen können.
Während wir in unseren Meetings über uns erzählen, lassen wir nicht nur
zu, daß andere uns besser kennenlernen, sondern wir finden auch einen
besseren Zugang zu uns selbst. Wenn wir in unserem Denken und Handeln
spontan sind, halten wir das Gespräch mit uns selbst aufrecht. Wir
entdecken unser Inneres durch Meditation, Tagebuch-Schreiben,
Verspieltheit, körperliche Betätigung und das Gespräch mit anderen.
All das macht uns zu aufrichtigeren Menschen.
Heute will ich alle Gelegenheiten nutzen, mit mir selbst zu
sprechen. Dadurch werde ich ehrlicher, und es hilft mir, mich so
anzunehmen, wie ich bin.
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6. August
Gott respektiert mich, wenn ich arbeite.
Er liebt mich, wenn ich singe.
Rabindranath Tagore
Jeder wünscht sich ein angenehmes Leben. Unser sprunghaftes Leben zeugte jedoch davon, daß uns die Kontrolle entglitten war. Was wir
daraus lernen können, ist nicht leicht zu verstehen. Wir suchen die
eine Lösung für all unsere Probleme und glauben, wir hätten inzwischen
den Schlüssel zu einem glücklicheren Leben gefunden.
Wir Männer haben unser Glück oft in der Arbeit gesucht und hatten für
alles andere nur wenig Zeit. Viele von uns haben auch ihre Zuflucht in
der Freizeit gesucht; sie haben getrunken und mit anderen Abhängigen
ihre Zeit vergeudet.
Und so erscheint es uns doppelt gefährlich, wenn uns unser Programm
lehrt, daß das Spielerische auf dem Weg zur Genesung wichtig ist.
Es gibt eine Möglichkeit, ein harmonisches Leben zu führen. Jeder Tag sollte beides in sich vereinigen: Spiel und Ernst. Beides zusammen
verleiht uns spirituelle Lebendigkeit.
Ich bitte meine Höhere Macht um Führung,
damit ich heute mein inneres Gleichgewicht finde.
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7. August
Wir lieben, weil die Liebe das einzig wirkliche Abenteuer ist.
Nikki Giovanni
In der Liebe begegnen wir uns selbst. Mit zunehmender Ehrlichkeit
suchen wir keine Ausreden mehr, wenn es in unseren Beziehungen
Probleme gibt. Wir wissen, daß wir unsere Probleme nicht auf unseren
Partner schieben können, und erkennen, daß unsere Probleme mit der
Liebe oft damit zusammenhängen, daß wir selbst unfähig sind, Nähe
zuzulassen.
Wenn wir uns auf das Abenteuer "Liebe" einlassen, stoßen wir auf
zahlreiche Widerstände, auf Dinge, die wir nicht im Griff haben. Dann
wollen wir gleich wieder aufgeben. Wir müssen uns klarmachen, daß es
Streit und Enttäuschungen geben wird, aber auch viele positive
Gefühle. Welches Abenteuer ist schon ohne Schwierigkeiten und
Überraschungen?
Schließlich entscheiden wir uns für das neue Abenteuer, weil wir
spüren, daß wir uns, um gesund zu werden, mit Kräften konfrontieren
müssen, die wir nicht mehr unter Kontrolle haben. Jede Beziehung ist
ein lebendiger Dialog, den wir samt seinen Enttäuschungen durchstehen
müssen. Wir müssen unsere Gefühle offenbaren und unserem Partner
wirklich zuhören, denn nur so erreichen wir eine neue
Art des Vertrauens.
Heute lasse ich mich von meiner Aufrichtigkeit führen.
Mein Abenteuer besteht im Dialog der Liebe.
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8. August
Ich wurde ganz deprimiert, wenn ich über die Zukunft nachdachte.
Also hörte ich damit auf und kochte statt dessen Marmelade ein. Es ist
erstaunlich, wie einen die einfachsten Dinge aufheitern: Orangen zu
schälen oder den Boden zu schrubben.
D. H. Lawrence
Wenn wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf unsere Schwierigkeiten
richten, geraten wir leicht in eine Sackgasse. Wir können plötzlich
die positiven Dinge nicht mehr sehen. Eine einfache Tätigkeit wie
Putzen oder Marmeladekochen kann dann wie ein Ausflug ins Freie
wirken. Unsere Gedanken werden in eine andere Richtung gelenkt, sobald
wir etwas anderes tun. Wenn wir etwas Angenehmes tun, verändert sich
unsere Sichtweise. Manchmal ist es einfach das Gespräch mit einem
Freund, das uns hilft, wieder klar zu sehen oder zu erkennen, daß wir
loslassen müssen.
Auch umgekehrt gilt, daß uns die Abwechslung von körperlicher
Aktivität und stiller Meditation ins innere Gleichgewicht bringt.
Ein Problem, das am Abend noch überwältigend erschien, erscheint oft am nächsten Morgen schon in neuem Licht.
Wir können sowohl unsere Opferhaltung als auch unsere Beschäftigung
mit scheinbar unlösbaren Problemen aufgeben. So wie wir im Gespräch
öfter einfach das Thema wechseln, haben wir auch die Möglichkeit,
unsere Aufmerksamkeit eine Weile auf etwas anderes zu lenken. Dadurch
bekommen wir wieder Hoffnung und können ganz
anders reagieren.
Wenn mich heute ein Problem nicht losläßt,
will ich mir ganz bewußt eine Pause gönnen,
um Abstand zu gewinnen.
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9. August
Wir müssen uns mit dem Unverständlichen anfreunden und über all
unsere bisherigen Erfahrungen hinauswachsen.
Janie Gustafson
Durch unsere Genesung haben wir Grenzen überschritten und die
Möglichkeit bejaht, daß es Dinge gibt, die sich unserem begrenzten
Wissen entziehen. Viele von uns haben ihr Leben lang versucht, alles
mit dem Verstand zu erklären und nur das zu glauben, was man begründen
und beweisen kann. Unser Ego versuchte, alles zu kontrollieren und im
Griff zu haben. Gleichzeitig haben wir uns dadurch ungeahnter
Möglichkeiten und Träume beraubt.
Wenn wir den Entschluß fassen, die ständige Kontrolle aufzugeben,
beginnen wir allmählich, an Möglichkeiten zu glauben, die wir vorher
nicht zulassen konnten. Wir lassen zu, daß Gott Einfluß auf unser
Leben nimmt.
Vielleicht können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennen, wie wir zum Beispiel eine neue Stelle finden könnten - aber wir können für
überraschende Möglichkeiten offen sein. Vielleicht sehen wir auch
keinen Weg, unser zwanghaftes Verhalten zu überwinden - aber schon
unser Gebet, Gott möge unsere Schwächen auf seine Weise
von uns nehmen, zeigt, daß wir bereits eine völlig neue Einstellung
gewonnen haben.
Gott, gib mir den Mut, dem Unbekannten zu begegnen,
das Unverständliche anzunehmen und das Erwachen meines Geistes zu
erleben.
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10. August
Von unseren Lehrern hören wir, daß es etwas gibt,
was alle Menschen gleichermaßen besitzen: ihre Einsamkeit.
Hyemeyohsts Storm
Viele Menschen versuchen, ihrer Einsamkeit ein Schnippchen zu
schlagen, indem sie sie verleugnen.
Wir haben gelernt, daß das nicht funktioniert. Diejenigen unter uns,
die Väter sind, möchten ihren Kindern diesen Schmerz gerne ersparen;
die Ehemänner unter uns träumen von einer idealen Beziehung, in der es
keine Einsamkeit gibt. Beides gelingt jedoch nicht, denn Einsamkeit
ist
eine Tatsache, die wir nicht ändern können. Es bleibt uns nichts
anderes übrig, als sie zu akzeptieren und mit ihr umzugehen. Es nützt
uns nichts, alle Spuren der Einsamkeit mit Gewalt verwischen zu
wollen. Wir müssen vielmehr akzeptieren, daß es überall Einsamkeit
gibt. Ich bin allein, aber jedem anderen geht es genauso. Aus dieser
Erkenntnis können wir echte Kontakte mit anderen Menschen knüpfen. In
unseren Beziehungen mit Männern und Frauen entsteht jedoch nur dann
mehr Vertrautheit, wenn wir einsehen, daß wir getrennte Wesen sind.
Erst dann können wir Brücken schlagen.
Heute akzeptiere ich mein Einsamkeitsgefühl als einen Teil
meines Lebens. Ich kann zu meinen Brüdern und Schwestern Kontakt
aufnehmen, weil ich weiß, daß auch sie allein sind.
(Alle Texte aus: Berührungspunkte. Tägliche Meditationen
für Männer. Hazelden. Heyne.
Siehe
Copyright.)
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